Bundeskriminalamt (BKA)

Gastbeitrag im SPIEGEL: "Wir brauchen eine Zeitenwende der inneren Sicherheit."

In einem Gastbeitrag im Magazin "Der SPIEGEL" äußert sich BKA-Präsident Holger Münch über eine notwendige Zeitenwende in der inneren Sicherheit.

Interview Datum: 20. Dezember 2024

Gastbeitrag von BKA-Präsident Holger Münch (Lebenslauf):

"Deutschland war schon immer ein Operationsgebiet fremder Nachrichtendienste: Spionage, Einflussoperationen und Oppositionellen-Ausspähung sind keine neuen Phänomene. Allerdings stehen wir als Nato-Mitglied, EU-Schlüsselstaat und maßgeblicher Unterstützer der Ukraine jetzt verstärkt im Fokus aggressiver staatlich gesteuerter Operationen.

Nachrichtendienste und kriminelle Gruppierungen zielen darauf ab, unseren Staat, die Gesellschaft und Wirtschaft zu destabilisieren und Informationen abzuschöpfen. Sie versuchen, die Unterstützung der Ukraine zu unterminieren und zu sabotieren. Sind das abstrakte Gefahren?

Nein.

Die Tötung von Oppositionellen in Deutschland, Brandanschläge auf DHL-Lieferketten, Cyber-Angriffe auf E-Mail-Konten der SPD und die IT-Infrastruktur der CDU, die Ausspähung von Sicherheitsbehörden und Streitkräften, Drohnenoperationen über militärischen Einrichtungen zeigen konkret, dass diese Gefahren real sind.

Spionage- und Sabotageoperationen in der realen Welt gehen dabei einher mit Aktionen im Cyberraum. Deutschland ist längst zum Ziel hybrider Kriegsführung geworden. Dabei ist anfangs oft nicht klar, ob es sich um staatlich gesteuerte, geduldete oder finanziell motivierte Aktionen handelt. Die Auswirkungen von Cyberangriffen auf die Wirtschaft, das gesellschaftliche Leben, unsere kritischen Infrastrukturen und die öffentliche Verwaltung sind jedenfalls immens. Die Verbreitung von Propaganda und Desinformation polarisiert zudem unsere freie Gesellschaft und soll die Demokratie schwächen.

Zugleich hat sich die Bedrohung zugespitzt, die von der Organisierten Kriminalität ausgeht. Wir beobachten drastische Gewalthandlungen im öffentlichen Raum: Geldautomatensprengungen, Schüsse und Explosionen vor Geschäfts- und Wohngebäuden, den Einsatz von Handgranaten und Maschinenpistolen mit zum Teil schwer verletzten Personen und eine nie gekannte Rauschgiftschwemme.

In anderen europäischen Staaten wie Belgien, den Niederlanden und Schweden zeigt sich bereits, dass Schwerkriminelle das staatliche Gewaltmonopol angreifen und die Sicherheit der Gesellschaft gefährdet ist. Diese Entwicklungen lassen ahnen, was uns bevorstehen könnte.

Auch die Gefahr, die von Extremismus und Terrorismus ausgeht, ist weiterhin besorgniserregend hoch. Deutschland steht im Fokus des islamistischen Terrorismus. Zugleich bedroht die ständig zunehmende politisch motivierte Kriminalität den Rechtsstaat: zuvorderst rechtsextremistische und dem Reichsbürgermilieu zuzuordnende Gruppen mit Umsturzplänen und offener Gewalt gegen Menschen, die nicht ihrem Idealbild entsprechen. Aber auch linksextremistische Strukturen geben Grund zur Sorge.

Deutschland ist außerdem Ruhe-, Rückzugs- und Spendensammelraum für Extremisten und Terroristen aus dem Ausland. Immer wieder kommt es auf unseren Straßen zu gewaltsamen Konfrontationen der jeweiligen Lager.

Ständig neue Höchstwerte der politisch motivierten Kriminalität und der Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger sind Folge dieser Entwicklungen. Dieses Klima der Konfrontation wird verstärkt durch die seit Jahren zunehmende Verbreitung von Hass und Hetze im Internet.

Die Sicherheitslage ist angespannt, die Herausforderungen sind komplex. Wir erleben eine zunehmende Digitalisierung der Kriminalität bei anhaltender analoger Kriminalität. Wir sehen unsere Demokratie auf dem Prüfstand. Das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung schwindet, gesellschaftspolitische Eruptionen sind die Folge. Und wir sehen, wie Antidemokraten diese Entwicklung verstärken und von ihr profitieren.

Diese Lage erlaubt nur eine Schlussfolgerung:  Wir brauchen eine echte »Zeitenwende« auch für unsere Sicherheitsbehörden. Innere und äußere Sicherheit dürfen nicht mehr separiert gedacht werden.

Unser Auftrag und unser Anspruch ist es, die Demokratie und die Menschen in Deutschland zu schützen, das Vertrauen in die Polizei zu stärken und zur gesellschaftlichen Stabilität und Wehrhaftigkeit beizutragen.

Als Bundeskriminalamt (BKA) stellen wir uns daher den neuen Realitäten, passen uns an, priorisieren um: Wir erweitern deutlich unsere Kapazitäten im Personenschutz, um die Sicherheit der Mitglieder unserer Verfassungsorgane zu garantieren und die demokratische Willensbildung zu gewährleisten. Wir setzen klare Schwerpunkte gegen Spionage, Sabotage und Cybercrime.

Unsere Strategie wird es sein, nicht nur Täter zu ermitteln, sondern auch ihre Handlungsmöglichkeiten einzuschränken, indem wir ihnen den Zugriff auf die technische Infrastruktur entziehen. Das bedeutet etwa, Server zu beschlagnahmen, Domains unschädlich zu machen, Vermögen zu arretieren und Krypto-Gelder zu sperren. Hierbei gilt es zunehmend, staatliche Akteure ins Visier zu nehmen.

Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ist und bleibt ein weiterer Handlungsschwerpunkt des BKA. Wir dürfen hier nicht nachlassen, im Gegenteil. Deshalb investieren wir intensiv in neue, insbesondere europäische sowie internationale Zusammenarbeitsstrukturen und Projekte. Ein Beispiel dafür ist die Europäische Hafenallianz. Mit ihr soll der Drogenimport über europäische Häfen und deren kriminelle Unterwanderung unterbunden werden. Dazu streben wir eine bessere Vernetzung aller betroffenen öffentlichen und privaten Akteure in der EU an.

Unabdingbar dafür ist es, unsere Fähigkeiten zu erweitern, etwa um kryptierte Kommunikation von Verbrechern besser als bislang überwachen zu können.  Wir müssen uns befähigen, große Datenmengen oder angegriffene IT-Infrastrukturen zu analysieren. Dabei können Instrumente der künstlichen Intelligenz helfen.

Wenn aber erwartet wird, dass wir all das tun, ohne anderes zu lassen, wird das nur mit Verstärkungen im Personal- und Sachhaushalt gehen. Der Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 enthielt zwar keinen Stellenzuwachs, sah aber immerhin nennenswert mehr Geld für Sachmittel vor. Das wäre ein richtiger, aber auch dringend notwendiger Schritt in die richtige Richtung. Unabhängig davon, wie sich die künftige Bundesregierung zusammensetzen wird: Wir dürfen nicht auf der Stelle treten, sondern müssen schnell wieder handlungsfähig sein.

Es ist auch an der Zeit, über Gesetze zu diskutieren. Wir brauchen geänderte und neue Befugnisse. Der rechtliche Rahmen muss stimmen, sonst nutzen auch die besten Ermittlerinnen und Ermittler und weitere Sachmittel nichts.

Mit der analogen und digitalen Welt verhält es sich so wie mit äußerer und innerer Sicherheit: Sie sind nicht (mehr) zu trennen. So muss die Polizei digital genauso wirkungsvoll Ermittlungen führen und Gefahren abwehren können wie analog. Dafür entscheidend sind unter anderem Befugnisse, Cyberangriffen auf Bundesebene begegnen zu dürfen. Bislang liegt die Zuständigkeit dafür allein bei den Ländern. Es kann auch nicht sein, dass wir kriminell genutzte Computer-Netzwerke nicht zerschlagen können, weil wir es nicht dürfen.

Längst überfällig ist die Zeit ohnehin für die IP-Adressenspeicherung, einen Teil der sogenannten Vorratsdatenspeicherung. Im oder über das Internet begangene Straftaten nehmen ständig zu. Die Polizei erfährt von der Tat, erhält die IP-Adresse eines verdächtigen Geräts und will wissen, wem dieses Gerät gehört. Die dann zentrale Frage lautet: Wie alt ist die IP-Adresse? Ist diese zu alt, sind keine Anschlussdaten mehr verfügbar, weil die Provider nicht verpflichtet sind, diese Daten aufzubewahren.

Deshalb brauchen wir eine zeitlich begrenzte verpflichtende Speicherung von IP-Adressen, jetzt! »Quick Freeze«, also das nachträgliche Einfrieren von Daten, seit Jahren als vermeintliche Alternative zur Datenspeicherung in der politischen Diskussion, hilft hier genau Null.

Zeitgemäße kriminalpolizeiliche Arbeit heißt heute, dass wir immer mehr Datenmengen verarbeiten, technisch höchst anspruchsvolle Ermittlungsfähigkeiten vorhalten und mit der rasanten technischen Entwicklung Schritt halten müssen. Oft genug suchen wir nicht mehr die Nadel im Heuhaufen, sondern vielmehr die Nadel im Nadelhaufen. Algorithmen und der Einsatz von KI-Tools könnten uns dabei unterstützen. Vor allem aber müssen sie uns unterstützen dürfen.

In der Abwägung zwischen dem Schutz von Menschenleben und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung muss es Befugnisse geben, die ein polizeiliches Handeln zugunsten der höherwertigen Rechtsgüter erlauben.

Die Sicherheitslage wird sich weiter verschärfen. Es ist Zeit zu handeln."