Bundeskriminalamt (BKA)

BKA-Präsident Münch im Interview: "Wir wollen im Netz mehr Streife laufen"

Interview mit der Rheinischen Post vom 23. Oktober 2019

Rheinische Post: Der CDU-Politiker Walter Lübcke ist von einem Rechtsextremisten erschossen worden, der Täter von Halle ist ein Rechtsextremist. Warum hat das Agieren der rechten Terrororganisation NSU die Behörden nicht aufgerüttelt?

Holger Münch: Aus den Taten des NSU wurden sehr wohl Konsequenzen gezogen. Wir haben beispielsweise die Muster für Informationsaustausch und Ermittlung, die wir für den Kampf gegen den islamistischen Terrorismus nutzen, auf die Bereiche der Politischen Motivierten Kriminalität übertragen. Seit 2012 gibt es etwa das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum – kurz GETZ - in Köln, wo Behörden aus Bund und Ländern regelmäßig zusammen kommen und sich mit Politisch Motivierter Kriminalität rechts, links und ausländischen Ideologien befassen. Zum Thema Politisch Motivierte Kriminalität rechts halten wir dort die meisten Sitzungen ab. Wir beobachten schon seit einiger Zeit, dass rechte Gewalt- und Propagandadelikte zunehmen. Alarmiert haben uns zudem Vorfälle wie der Messerangriff auf die Kölner Oberbürgermeisterin. Mit der Tötung von Dr. Walter Lübcke ist eine weitere Grenze überschritten worden. Der Anschlag in Halle hat unsere Einschätzung der Gefährdung leider erneut bestätigt. Die Lage ist ernst. Um die Bedrohungen, die von der PMK -rechts ausgeht, wirksam abwehren zu können, müssen die Anstrengungen zu deren Bekämpfung erheblich intensiviert werden.

Rheinische Post: Was haben die Sicherheitsbehörden, die Bundesregierung, die Politik, die Gesellschaft versäumt?

Holger Münch: 2011 und 2012 kam es im Bereich PMK-rechts neben der Umsetzung der bereits erwähnten Maßnahmen auch zu personellen Verstärkungen. Allerdings wurde die Arbeit der Sicherheitsbehörden kurze Zeit später stark durch den islamistischen Terrorismus bestimmt. Die Gefährderzahlen in diesem Bereich haben sich seit 2013 auf heute rund 680 mehr als verfünffacht, die Strafverfahren im Bereich islamistischer Terrorismus auf heute über 1000 mehr als verdreifacht. 2015 und 2016 folgten die Anschläge mit vielen Toten in Paris, Brüssel und Berlin. Seit dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz haben wir sieben Anschläge in Deutschland verhindert. Wir hatten nicht den Raum, den Bereich PMK-rechts mit der gleichen Intensität zu bearbeiten, wie wir den islamistischen Terrorismus bearbeitet haben. Durch die Zunahme von rechter Gewalt, sowie Hass und Hetze im Internet ist dies aber dringend nötig. Das BKA und das Bundesamt für Verfassungsschutz arbeiten daher seit einiger Zeit an Konzepten zur Intensivierung der Bekämpfung des Rechtsextremismus. Der Bundesinnenminister setzt sich zudem intensiv dafür ein, dass wir die notwendigen Stellen für deren Umsetzung erhalten. Allerdings werden die Sicherheitsbehörden allein das Problem nicht lösen können. Wichtig sind beispielsweise auch Bildung und Prävention, um radikales Gedankengut gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Rheinische Post: Sie haben mit den anderen Sicherheitsbehörden ein verschärftes Vorgehen angekündigt. Wie genau wollen Sie das Aufspüren der Rechtsextremisten umsetzen?

Holger Münch: Wir werden im kommenden Jahr einen Maßnahmenplan umsetzen, der auf drei Ebenen ansetzt. Eine der Ebenen ist die Personenebene. Hier geht es darum, gefährliche Personen früher zu erkennen und bei ihnen die richtigen Maßnahmen zu treffen. Dazu werden wir etwa das Risikobewertungsinstrument RADAR, das wir im Bereich Islamistischer Terrorismus bereits erfolgreich einsetzen, auf den Bereich rechts übertragen. Eine weitere Ebene betrifft die Netzwerke, also die Frage, welche Personenverbindungen eine Rolle spielen. Die Radikalisierung von Einzelpersonen findet nicht im luftleeren Raum statt. Es existiert ein Resonanzraum im Netz, wo man sich gegenseitig bestärkt, aber es gibt ebenfalls Kennverhältnisse und auch strukturelle Verbindungen. Es ist unsere Aufgabe, diese Verbindungen in enger Kooperation mit dem Verfassungsschutz noch besser aufzuklären. Wichtige Voraussetzung hierfür ist, dass wir Informationen zu Kennverhältnissen speichern dürfen. Dafür muss der Rechtsrahmen angepasst werden. Wir können die Netzwerke nur durchleuchten, wenn wir dafür auch das Rüstzeug bekommen.

Rheinische Post: Und der dritte Bereich im Kampf gegen Rechtsextremismus?

Holger Münch: Wir müssen stärker gegen Hasskriminalität im Netz vorgehen. Das Internet scheint manchmal wie die letzte Bastion des Wilden Westens zu sein. Beschimpfungen, Drohungen und andere strafbare Veröffentlichungen sind dort an der Tagesordnung, die so in der analogen Welt kaum vorstellbar sind. Es hat eine extrem einschüchternde Wirkung, wenn zum Beispiel Listen mit Namen veröffentlicht werden. Gleiches gilt für Posts mit Drohungen wie „Wir kriegen Euch alle“. Wenn Drohungen von rechts außerdem dazu führen, dass Kommunalpolitiker nicht mehr zu Wahlen antreten und Ehrenamtliche sich aus ihrem Engagement zurückziehen, dann ist das auch demokratiegefährdend. Deshalb wollen wir im BKA zum einen das Internet-Monitoring stärken, also quasi mehr Streife laufen im Netz, und zum anderen eine Zentralstelle für Hasskriminalität im Netz einrichten. Die Provider sollen uns Posts mit strafbaren Inhalten, die sie heute schon löschen, melden müssen.

Rheinische Post: Liegt das Problem allein im Netz? Die Justiz reagiert ja nur sehr schwerfällig auf Anzeigen aufgrund verbaler Attacken im Netz.

Holger Münch: Nicht nur bei der Polizei wird man über die Prioritätensetzung reden müssen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir wollen gegen Hass im Netz ähnlich vorgehen wie gegen Kinderpornografie. Dazu bekommen wir aus den USA mittlerweile 70.000 Hinweise pro Jahr, von denen 20.000 nach deutschem Recht die Strafbarkeitsschwelle überschreiten. Wir arbeiten eng mit einer Schwerpunktstaatsanwalt, der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internet-und Computerkriminalität in Gießen zusammen, identifizieren die Täter und geben die Informationen an die örtlichen Polizeibehörden weiter, die dann die weiteren Ermittlungen übernehmen. Unsere Idee ist, dieses Muster der Zusammenarbeit von Justiz und Polizei in Bund und Ländern auf den Straftatenkatalog zu Hasskriminalität im Netz zu übertragen. Es geht darum, dass die strafbaren Einträge nicht nur gelöscht, sondern auch verfolgt werden.

Rheinische Post: Wie beurteilen Sie die Gamer-Szene? Werden Sie dort auch fündig?

Holger Münch: Das Internet insgesamt spielt für Propaganda und Radikalisierung heute eine wichtige Rolle. Dabei hat sich die Nutzung von Sozialen Medien in der rechten Szene in den vergangenen Jahren verändert. Neben klassischen Anbietern wie Facebook und Twitter werden zunehmend auch alternative Plattformen genutzt, auch um Löschungen nach dem NetzDG auszuweichen. Kommunikation findet dabei auch in Foren für Computerspiele statt. Ganz überwiegend wird sich hier über Spiele ausgetauscht. Die Attentate von Christchurch und Halle zeigen uns aber, dass sie auch Bedeutung für Radikalisierungsprozesse haben können. Wir stellen die Gamer-Szene nicht unter Generalverdacht, genauso wenig, wie nicht alle Facebooknutzer unter Generalverdacht stehen. Es geht uns vielmehr darum, relevante Kommunikation und strafbare Inhalte polizeilich zu bearbeiten und zu verfolgen, und zwar auf allen relevanten Plattformen.

Rheinische Post: Sie haben es bereits angesprochen - sie beschäftigt derzeit nicht nur die Gefahr von rechten Straftaten, sondern weiterhin auch der Islamistische Terrorismus. Kann sich ein Terroranschlag wie auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016 wiederholen?

Holger Münch: Es gab damals drei wesentliche Schwachstellen. Erstens: Das ausländerrechtliche Verfahren gegen den Täter Anis Amri war nicht konsequent zum Ziel geführt worden. Das würde so heute nicht mehr passieren. Zweitens: Die Strafverfahren gegen Amri in den verschiedenen Bundesländern sind nicht zusammengeführt worden. Heute ist der Generalbundesanwalt Teil der Arbeitsgruppe Risikomanagement im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum – kurz GTAZ. Er hat die Übersicht über die verschiedenen Strafverfahren in den Ländern und geht gegebenenfalls auch aktiv auf die Staatsanwaltschaften zu, um Fälle zusammenzuführen. Und drittens verfolgen wir heute konsequent einen personenorientierten Ansatz, das heißt, wir schauen uns nicht nur den konkreten Gefährdungssachverhalt, sondern auch die Person und deren Gefährlichkeit an. 2016 gab es Hinweise auf einen möglichen Anschlag von Amri mit Schnellfeuergewehren. Dieser Verdacht erhärtete sich nicht. Heute würde nicht nur dieser Sachverhalt, sondern die Person Amri stärker in den Fokus genommen werden.

Rheinische Post: Wie schätzen Sie die Bewegung „Extinction Rebellion“ ein. Kann von ihr eine Radikalisierung der Klimaschutzbewegung ausgehen?

Holger Münch: Bei jedem Thema, das mit hoher gesellschaftlicher Emotionalität verbunden ist, besteht grundsätzlich ein Risiko, dass sich Personengruppen radikalisieren. Dafür gibt es bei der Klimabewegung bislang aber keine Hinweise.

Rheinische Post: Auch die Clan-Kriminalität ist in Deutschland inzwischen ein schwerwiegendes Problem. Die Polizei erweckt mitunter den Eindruck, dass sie den Clans ohnmächtig gegenüber steht. Lassen sich die Strukturen überhaupt noch beseitigen?

Holger Münch: Ja, aber es ist ein Kraftakt und das nicht nur für die Polizei. Probleme, die in 30 Jahren entstanden sind, lassen sich nicht im Handumdrehen lösen. Wir brauchen einen langen Atem. Gemeinsam mit den Polizeien der Bundesländer, der Bundespolizei und dem Zoll intensiveren wir daher die Bekämpfung der Clankriminalität. Neben konsequenter Strafverfolgung und Vermögensabschöpfungen werden wir gemeinsam auch aufenthaltsbeendende Maßnahmen vorantreiben. Strafverfolgung allein reicht aber nicht, wichtig für die Bekämpfung von Clankriminalität sind auch Integration und Bildung. Wir als Polizei können die negativen Vorbilder in den Fokus nehmen, es muss aber auch positive Anreize für Integrationswillige geben.

Rheinische Post: In welchem Zeitraum denken Sie?

Holger Münch: Wir müssen in den nächsten drei Jahren Erfolge sehen - einen Rückgang an auffälligem Verhalten. Um das Problem zu beseitigen, werden wir aber deutlich länger brauchen. Wichtig ist, dass die Kinder in diesen oft abgeschotteten und bildungsfernen Familien nicht denselben Weg von Gewalt und Grenzüberschreitung einschlagen. Man muss auf der einen Seite die Motivation dieser Generation stärken, Teil unserer Gesellschaft zu werden und auf der anderen Seite eindeutig klar machen, dass sich straffälliges Verhalten nicht lohnt.

Rheinische Post: Sind die Länder dafür gut ausgestattet?

Holger Münch: Die Zahl der Polizisten ist immer limitiert. Das Problem ist aber erkannt. Entscheidend ist, dass die Schwerpunktsetzung bei der Bekämpfung von Clankriminalität erhalten bleibt und dort auch ausreichend Personal eingesetzt wird. Im BKA werden wir eine eigene Einheit in der Abteilung Schwere und Organisierte Kriminalität aufbauen, um uns auf einen Langstreckenlauf und nicht nur auf einen Sprint einzustellen.

Rheinische Post: Die Clans sind dominiert von Bossen. Werden die Strukturen zerschlagen, in dem man diese Schlüsselfiguren hinter Schloss und Riegel bringt?

Holger Münch: Das ist ein altbewährtes Vorgehen bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität: Sie müssen wie beim Bowling den KingPin treffen, um möglichst viele Kegel fallen zu lassen. Das allein reicht aber nicht. Haftbefehle oder Abschiebungen einzelner Clan-Führer haben zwar eine Wirkung, aber um das Problem dauerhaft in den Griff zu bekommen, müssen wir die Sozialisation der Familien durchdringen und sicherstellen, dass sie in unserer Wertegesellschaft ankommen.

Rheinische Post: Haben die überhaupt Respekt vor der Polizei?

Holger Münch: Den muss man sich erarbeiten.

Rheinische Post: Hat in den letzten 30 Jahren nicht so gut geklappt.

Holger Münch: Sie werden ernst genommen, wenn Sie aus einer Position der Stärke agieren. Wenn die Aggressoren etwa in größeren Gruppen auftreten, muss man etwa mit einer angemessenen Anzahl an Einsatzkräften agieren. Man muss aber beispielsweise auch Zeugen schützen, damit diese auch aussagebereit bleiben. Insgesamt müssen wir klar machen, dass wir Verhaltensweisen, die sich gegen unsere Gesellschaft und gegen unseren Rechtsstaat richten, nicht dulden.