Bundeskriminalamt (BKA)

Interview: BKA Präsident Münch: „Rot heißt: besonders gefährliche Person“

BKA-Präsident Holger Münch spricht im Interview mit der Frankfurter Rundschau über rechte und linke Extremisten, die Gefahr von Islamisten in Deutschland und seine Überraschung über die Gewalt beim G20-Gipfel.

FR: Herr Münch, seit einigen Jahren beobachten wir Terroranschläge von einer neuen Qualität, in Berlin, in Nizza, in London. Sie richten sich gegen feiernde Menschen und ähnliche "weiche Ziele". Was können Sie dagegen tun?

Münch: Die Gefahr durch den islamistischen Terrorismus ist vielschichtig. Es gibt die Aufforderung, überall, wo immer möglich, mit allen Mitteln die sogenannten "Ungläubigen" zu bekämpfen. Das richtet sich an diejenigen Radikalisierten, die ohne großen Vorlauf und ohne großes Unterstützernetzwerk Anschläge begehen sollen. Daneben gibt es organisierte - zum Teil staatenübergreifend agierende dschihadistische Netzwerke - Brüssel und Paris sind Beispiele dafür. Alle möglichen Szenarien müssen wir im Blick behalten.

FR: Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Münch: Zum einem gehen wir jedem Hinweis auf mögliche Anschlagspläne und Anschlagsszenarien konsequent nach. Das bedeutet auch, dass wir die Personen, die wir kennen, und die Strukturen, die dahinterstehen, besonders im Blick behalten. Diesen täterorientierten Ansatz werden wir noch weiter ausbauen.

FR: Der Fall des Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri zeigt, dass es auch zwischen den Sicherheitsbehörden unterschiedliche Einschätzungen geben kann. Die Berliner Polizei hat ihn anders eingeschätzt als die nordrhein-westfälischen Beamten.

Münch: Erst einmal ist mit Amri eine polizeilich auffällige Person von allen beteiligten Stellen zutreffend als Gefährder eingestuft worden.

FR: Aber am Ende konnte er doch zuschlagen.

Münch: Es hat sich gezeigt, dass wir nachbessern müssen. Bisher haben wir im gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum Gefährdungssachverhalte bewertet und keine Personen. Wir haben gelernt, dass wir uns nicht nur mit der Eintrittswahrscheinlichkeit eines bestimmten Gefährdungsszenarios beschäftigen dürfen, sondern mit der Gefährlichkeit der Person an sich. Und genau das können wir jetzt, in dem wir die Gefährder einer dreistufigen Skala zuordnen, und zwar bundesweit einheitlich. Rot heißt, dass von der Person eine besondere Gefahr ausgehen könnte. Dunkelgelb und hellgelb bedeuten eher eine moderate Gefahr. Unser besonderes Augenmerk gilt dabei natürlich denjenigen, die auf Rot landen.

FR: Die Diskussion hatte anders angefangen. Da hieß es vonseiten des Innenministers Thomas de Maizière: Die Bundesbehörden, also auch das BKA, müssten mehr Kompetenzen bekommen auf Kosten der Landesbehörden.

Münch: Dieser Gedanke findet sich in der Koordinierungsaufgabe im Bereich der Gefährderüberwachung wieder, die wir seit dem 1. Juli übernommen haben. Hier setzen wir auf Standardisierung, auf einheitliches Werkzeug und einheitliche Polizeigesetze. Die konkrete Gefährderüberwachung bleibt aber die Aufgabe der Landespolizeien, und das ist auch richtig.

FR: Davon sind wir weit entfernt.

Münch: Wir brauchen die Vereinheitlichung und haben auch schon wichtige Schritte in diese Richtung geschafft. Nehmen wir den Fall Amri und die Kommunikationsüberwachung. Diese kann wichtiger als eine Observation sein. Ich muss wissen, mit wem der Mensch Kontakt hat. Das läuft heute vor allem digital. Deswegen brauchen wir die Telekommunikationsüberwachung und zwar in jedem Polizeigesetz. In fünf Bundesländern, darunter Berlin und Nordrhein-Westfalen, ist dies aus rechtlichen Gründen noch nicht möglich.

FR: Wie viele islamistische Gefährder sind Ihnen derzeit bekannt?

Münch: Rund 690.

FR: Sehen Sie auch Gefährder bei Rechts- oder Linksextremisten?

Münch: Die Zahlen von Menschen, denen die mit der Einstufung betrauten Länder einen Anschlag zutrauen, sind sehr viel kleiner. Im Bereich links gingen die Länder bislang von einer Größenordnung aus, die man an einer Hand abzählen kann. Im Bereich rechts ist es eine niedrige zweistellige Zahl.

FR: Die rechte Szene hat sich ebenfalls radikalisiert. Sehen Sie das Potenzial zu rechtem Terror?

Münch: Anders als derzeit im Bereich der politisch linksmotivierten Kriminalität sehen wir im rechten Spektrum durchaus das Risiko, dass sich terroristische Strukturen bilden können. In den letzten zwei Jahren hat das Thema Zuwanderung zu einer erkennbaren Radikalisierung der Szene beigetragen. Die immense Zahl von Straftaten gegen Asylbewerberunterkünfte in den Jahren 2015 und 2016 unterstreichen das. Dass sich in diesem Umfeld Personen zusammentun und tiefergehend radikalisieren, haben die Ermittlungsverfahren in Freital und Bamberg sowie gegen die sogenannte Oldschool Society gezeigt. Wir sind da sehr wachsam und wollen möglichst schnell in offene Ermittlungen eintreten und nicht zu lange beobachten. Wir wollen kein Abgleiten von Personen in den Untergrund wie beim NSU.

FR: Kann man aus all dem schließen: Die mit Abstand größte Gefahr in Deutschland geht von Islamisten aus?

Münch: Aktuell ist das so, wenn es um die Gefahr eines terroristischen Anschlags geht.

FR: Zum G20-Gipfel in Hamburg: Würden Sie im Nachhinein sagen, dass Sie die Lage falsch eingeschätzt haben?

Münch: Das, was im Vorfeld an Störungen und gewaltbereiten Personen prognostiziert wurde, war im Grundsatz relativ treffgenau. Was uns alle überrascht hat, war das Ausmaß der Gewalt und die Skrupellosigkeit. Einem Polizeibeamten etwa wurde der Oberarm mit einer Metallkugel durchschossen. Da fragt man sich: Was wäre passiert, wenn diese Kugel den Hals getroffen hätte? Das ist ein Gewaltpotenzial, das wir in dieser Intensität nicht erwartet haben.

FR: Augenzeugen aus Hamburg haben Autonome gesehen, aber auch erlebnishungrige Jugendliche. Die Beobachter haben sie "Wodka-Mate-Kids" genannt. Hatten Sie solche Gruppen überhaupt auf dem Schirm?

Münch: Unser Ziel ist, nun möglichst viele Täter zu identifizieren. Wir wollen aber auch mehr Informationen über die dahinterstehenden Strukturen. Welche Rolle haben Linksautonome gespielt und welche sogenannte erlebnisorientierte Jugendliche? Das ist etwas, was wir sehr genau analysieren, auch mit Blick auf die Dinge, die möglicherweise in den nächsten Jahren noch kommen.

FR: Beim G20-Gipfel wurde 32 Pressevertretern erst die Akkreditierung erteilt, dann wurde sie während des Gipfels wieder entzogen, ohne Begründung. Was ist schiefgelaufen?

Münch: Der G20-Gipfel war der bislang größte Personenschutzeinsatz in der Geschichte des Bundeskriminalamtes. Wir haben über 30.000 Personen im Akkreditierungsverfahren überprüft, die Zugang in die Sicherheitsbereiche haben sollten. Über 5000 wurden für den Pressebereich akkreditiert. Darunter gab es eine Gruppe von 28 Medienvertretern, bei denen dem BKA schon zum Zeitpunkt der Akkreditierung gewisse Sicherheitsbedenken bekannt waren, die aber zunächst dennoch eine Akkreditierung bekamen, um ihrer Arbeit nachgehen zu können. Allerdings sollten diese in Abstimmung mit dem Bundespresseamt nur Zutritt zum Medienzentrum und der Abschlusspressekonferenz bekommen, um auch den Sicherheitsbelangen Rechnung tragen zu können. In der dynamischen Situation vor Ort kristallisierte sich dann aber heraus, dass nicht mehr sichergestellt werden konnte, dass nicht auch diese Personen Zugang zu Pool-Terminen in der Sicherheitszone 1 erlangen könnten. Denn eine lückenlose Kontrolle war nicht möglich. Vor dem Hintergrund der dann noch kurzfristig angekündigten Störung des Gipfelverlaufs im Rahmen des Action Days konnte eine Gefährdung der Schutzpersonen sowie ein störungsfreier Verlauf der Medientermine nicht mehr gewährleistet werden, weshalb dann schließlich doch allen 28 Personen, zu denen Erkenntnisse vorlagen, die Akkreditierung entzogen wurde. Bei vier weiteren Personen waren dem BKA erst nach erfolgter Akkreditierung Sicherheitserkenntnisse bekannt geworden, die sodann ebenfalls zur Entziehung der Akkreditierung durch das BPA führten.

FR: Warum konnte das nicht vorher geklärt werden?

Münch: Diese Frage betrifft nur die vier Personen. Bei den anderen 28 ging es nicht um eine nachträgliche Information zu den Personen, sondern um einen laufenden Betrieb, in dem wir nicht mehr sicherstellen konnten, dass diese Personen nicht den engeren Sicherheitsbereich betreten.

FR: Ist absolut ausgeschlossen, dass ausländische Informationen dabei eine Rolle gespielt haben?

Münch: Ja. Wir haben zwei Quellen angefragt neben den polizeilichen Daten, die wir sowieso verfügbar haben: die Polizei in Hamburg und das Bundesamt für Verfassungsschutz.

FR: Das Bundesamt für Verfassungsschutz könnte seine Erkenntnisse aber auf Informationen ausländischer Dienste stützen.

Münch: Ja, die Frage haben wir gestellt.

FR: Und die Antwort?

Münch: Alles, was sie uns gegeben haben, was am Ende in die Bewertung eingeflossen ist, sind originär deutsche Erkenntnisse. Es gab ja das Gerücht, dass möglicherweise der Türkei-Aufenthalt einiger Personen eine Rolle gespielt hat. Die Antwort lautet: nein.