Bundeskriminalamt (BKA)

Interview: BKA-Ermittler gegen Kriegsverbrecher "Aufnahmen von Enthauptungen vergessen Sie nicht"

Ihre Fälle sind die schlimmsten Verbrechen der Menschheit: Eine kleine BKA-Truppe kämpft weltweit gegen Völkermörder und Kriegsverbrecher. "Wir können doch nicht die Augen verschließen", sagt ihr Chef.

  • Datum:22. Juni 2017
  • Interview mit: Klaus Zorn
  • Interviewer: Jörg Diehl, Spiegel Online

Der Mann, der sich seit vielen Jahren mit dem Grauen der Welt befasst, ist freundlich geblieben und zugewandt. Er ist kein Zyniker, sondern spricht mit großem Ernst und rheinischem Grundoptimismus über seine Aufgabe. Klaus Zorn, 57, kurze graue Haare, gestutzter Bart, Stahlrahmenbrille, ermittelt mit seinen Kollegen aus dem Referat ST 24 des Bundeskriminalamts (BKA) seit vielen Jahren gegen Kriegsverbrecher. Ihr Alltag sind Fälle von Völkermord, Massenhinrichtungen, Folter, systematische Vergewaltigungen. Wenn es jemanden gibt, der weiß, wozu Menschen überall auf der Welt fähig sind, dann ist es Klaus Zorn.

Für Zorn begann es auf dem Balkan, Anfang der Neunzigerjahre, als er die Kriegsgräuel des Jugoslawien-Konflikts aufarbeitete. Es folgten umfangreiche Ermittlungen zu Verbrechen in Ruanda und dem Kongo, heute befasst sich sein Team vor allem mit Syrien. In dem Großteil der etwa 70 Verfahren wegen Verstößen gegen das Völkerstrafrecht, die der Generalbundesanwalt derzeit führt, geht es um in Syrien verübte Verbrechen.

Grundlage der Ermittlungen ist das sogenannte Weltrechtsprinzip, das deutschen Strafverfolgern ermöglicht, auch im Ausland begangene Taten aufzuklären, an denen keine Bundesbürger beteiligt waren. Allerdings halten sich viele Personen, gegen die Zorn und sein Team vorgehen, zurzeit in Deutschland auf. SPIEGEL ONLINE veröffentlicht nun das erste Interview mit Zorn.

SPIEGEL ONLINE: Herr Zorn, gibt es Dinge bei Ihrer täglichen Arbeit, die Sie noch erschüttern können?

Zorn: Erschüttern ist vielleicht das falsche Wort. Ich würde sagen, mich berührt vieles noch. Und trotzdem müssen wir im Team eine professionelle Distanz zu den Geschehnissen wahren. Das soll nicht heißen, dass wir unsensible Technokraten sind, ganz und gar nicht. Wir nehmen die Grausamkeiten auf, die uns begegnen, aber wir müssen sie auch bearbeiten können, um unseren Ermittlungsauftrag zu erfüllen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben tagtäglich mit den schlimmsten Abartigkeiten menschlichen Verhaltens zu tun - mit Massenmorden, Vergewaltigungen, Folter. Wie schafft man da professionelle Distanz?

Zorn: Natürlich denkt man nicht ständig an diese Dinge, aber es kommt immer wieder vor. Zum Beispiel habe ich vor langer Zeit einen Zeugen vom Balkan vernommen, der Schlimmstes erleben musste. Er erzählte, dass er am Anfang seines Martyriums geschlagen wurde, und zwar zuallererst von seinem Nachbarn, mit dem er zuvor 40 Jahre lang friedlich Tür an Tür gelebt hatte. Diese Aussage lässt mich nicht los. Aber natürlich gibt es auch noch viel grausamere Geschehnisse, Bilder, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen. Wenn Sie sich beispielsweise Aufnahmen von Enthauptungen ansehen müssen, werden sie die nicht wieder vergessen. Die Bilder sind zwar nicht permanent da, aber bei passender oder unpassender Gelegenheit läuft dieser Film wieder vor ihrem geistigen Auge ab.

SPIEGEL ONLINE: Was tun Sie dagegen?

Zorn: Wir sprechen im Team viel miteinander und passen auf uns auf. Und wir haben die Möglichkeit, in regelmäßigen Abständen psychologische Beratung in Anspruch zu nehmen.

SPIEGEL ONLINE: Was treibt Sie an?

Zorn: Für uns alle im Team gilt: Wir wollen schwerste Straftaten aufarbeiten und für Gerechtigkeit sorgen. Wir verhelfen Opfern dadurch zu ihrem Recht. Das sind Menschen, die häufig hundertfach durch die Hölle gegangen sind. Ihnen eine Stimme zu geben, ihr Leid anzuhören und sich für sie einzusetzen, ist eine ungemein sinnvolle und bereichernde Aufgabe. Ich erinnere mich beispielsweise an Gespräche, die wir im Kongo mit misshandelten Frauen geführt haben. Sie sagten: Noch nie hat sich ein anderer Mensch Zeit genommen, meine Geschichte anzuhören. Und ihr kommt dafür sogar aus Europa her.

SPIEGEL ONLINE: Das klingt, als seien Sie eher Seelsorger als Ermittler?

Zorn: Die Arbeit eines Kriminalbeamten ist vielfältig. Und wenn ich diese Arbeit gut machen will, muss ich mein Gegenüber in all seinen Facetten wahrnehmen und nicht nur Formblätter ausfüllen.

SPIEGEL ONLINE: Wie schwierig ist der Umgang mit den Opfern?

Zorn: Es ist wichtig und auch eine Frage des Respekts vor ihrem Leid, dass wir ausgesprochen fachkundig sind, wenn wir Zeugen befragen. Wir müssen wissen, wo ein bestimmter Folterkeller lag oder wie die Gefängnisse aussahen. Wir wollen eine Beziehung zu unserem Gegenüber aufbauen und absolut ehrlich arbeiten. Wir müssen diese Menschen an die Hand nehmen, ihnen sagen, was später auf sie zukommen kann, was ihre Aussage für sie bedeutet. Häufig haben wir kaum andere Beweise als die Schilderungen der Betroffenen - und trotzdem verzichten wir manchmal auf die Aussage eines Opfers zu seinem persönlichen Schutz. Einen Zeugen - bildlich gesprochen - wie eine Zitrone auszuquetschen und dann wegzuwerfen, wäre in meinen Augen absolut verwerflich.

SPIEGEL ONLINE: "So geht es nicht", sagte der Vorsitzende Richter im Ruanda-Verfahren in Stuttgart - und meinte, dass ein solches Verfahren mit der deutschen Strafprozessordnung nicht in den Griff zu bekommen sei. Elf von 16 Anklagepunkten hatte die Bundesanwaltschaft im Prozess fallengelassen. Ist der deutsche Rechtsstaat mit der Aufgabe eines Weltgerichts nicht überfordert?

Zorn: Nein. Es gibt zwar keine gesonderte Völkerstrafprozessordnung, worauf der Vorsitzende Richter in Stuttgart anspielte, aber die braucht es aus meiner Sicht auch nicht. Manche Juristen mögen da anderer Meinung sein. Es wäre allerdings wünschenswert, wenn sich an den Oberlandesgerichten spezialisierte Senate mit dem Bereich des Völkerstrafrechts befassten und sich nicht jeder Senat immer wieder aufs Neue in diese Materie einarbeiten müsste.

SPIEGEL ONLINE: Ihre Ermittlungen dauern oft Jahre und sind äußerst schwierig, weil die Tatorte häufig in Krisen- und Kriegsgebieten liegen. Wie viel Geduld braucht man dafür?

Zorn: Auf den schnellen Erfolg können wir bei unseren Ermittlungen nicht setzen - das wollen wir auch nicht. Es dauert so lange, wie es dauert. Wenn am Ende dann Verurteilungen stehen, ist die Länge des Weges egal. Schon von einem einzigen Urteil geht ein gewaltiges Signal aus - sowohl in Richtung der Täter als auch in Richtung der Opfer. Gerade deren Vertrauen in die Behörden ist oftmals schwer gestört und wird auch durch unsere Arbeit ein Stück weit wiederhergestellt.

SPIEGEL ONLINE: Warum müssen eigentlich deutsche Strafverfolger Verbrechen aufarbeiten, die Ausländer im Ausland an Ausländern begangen haben?

Zorn: Wenn wir als Strafverfolger von monströsen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfahren, die mutmaßlichen Täter in Deutschland leben und sie wegen rechtlicher Schranken nicht an den Tatortstaat ausgeliefert werden können, sind wir verpflichtet, uns damit zu befassen. Das gilt neben der strafrechtlichen Verpflichtung auch in einem moralischen Sinne. Wir können doch nicht die Augen verschließen und sagen, dann hat der Täter eben Glück gehabt, dass er den "sicheren Hafen" Deutschland erreichen konnte. Hinzu kommt, dass wir als deutsche Polizei auch ein eigenes Interesse daran haben, gegen Verbrecher vorzugehen, die schlimmste Gewalttaten wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen begehen. Insbesondere dann, wenn sich diese in Deutschland oder Europa aufhalten.

SPIEGEL ONLINE: In welchem Ausmaß befassen Sie sich mit dem Bürgerkrieg in Syrien?

Zorn: Wir führen im Auftrag des Generalbundesanwalts ein sogenanntes Strukturverfahren, aus dem heraus wir dann auf einzelne Täter zielen. Insgesamt haben wir von Geflüchteten bislang mehr als 4100 Hinweise auf völkerstrafrechtlich zu würdigende Sachverhalte erhalten - darunter eine Vielzahl möglicher Kriegsverbrechen in Syrien und im Irak. Diesen gehen wir nun gemeinsam mit den Landeskriminalämtern nach. Derzeit laufen rund 40 solche Ermittlungsverfahren.

SPIEGEL ONLINE: Sie greifen bei Ihren Ermittlungen auch auf Bilder eines Mannes zurück, der "Caesar" genannt wird. Was hat es damit auf sich?

Zorn: "Caesar" ist ein ehemaliger syrischer Militärfotograf, dessen perfider Auftrag es war, Leichen in einem Damaszener Militärkrankenhaus zu fotografieren und zu katalogisieren. Seine fast 50.000 Bilder der in Foltergefängnissen Umgebrachten sind über Umwege an die Öffentlichkeit und auch an die deutschen Strafverfolgungsbehörden gelangt - wohl weil "Caesar" das Grauen nicht mehr ausgehalten hat. Mich erschreckt das System dahinter. In der Welt des 21. Jahrhunderts ist eine Maschinerie des Mordens zu erkennen, die systematisch missliebige Menschen tötet und keinerlei Unrechtsbewusstsein erkennen lässt. Im Gegenteil: Sie hat ihre schrecklichen Taten auch noch dokumentiert.

SPIEGEL ONLINE: Wovon Sie als Strafverfolger nun vielleicht profitieren?

Zorn: Wir versuchen diese Bilder aufzubereiten und forensisch auszuwerten, unter anderem durch Rechtsmediziner. Wir wollen dieses Wissen dann zusammenbringen mit Erkenntnissen über einzelne Täter. Und hoffentlich werden wir sie eines Tages vor ein Gericht stellen können.

SPIEGEL ONLINE: Herr Zorn, glauben Sie eigentlich noch an das Gute im Menschen?

Zorn: Ja, das tue ich, immer noch. Ich bin so gestrickt, dass ich mir auch trotz ganz schlimmer Geschehnisse eine positive Grundeinstellung bewahrt habe. Das ist ein Segen.

Informationen zur Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen und weiteren Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch (ZBKV).