Bundeskriminalamt (BKA)

Interview: "Eine Kultur des Hinschauens"

BKA-Präsident Holger Münch im Gespräch mit der taz.die tageszeitung

taz: Herr Münch, das BKA ermittelt gerade im Fall des rechtsterrorverdächtigen Bundeswehrsoldaten Franco A., der sich als syrischer Flüchtling registrieren ließ. Sie sind 39 Jahre im Polizeidienst: Ist Ihnen so etwas schon mal untergekommen?

Münch: Nein. Wir lernen immer wieder: Nichts ist unmöglich. Gerade erst hatten wir den Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund und jetzt dieser Fall. Die große Herausforderung ist, sich auf das Unvorstellbare einzustellen.

taz: Was heißt das?

Münch: Wir müssen offen an solche Fälle herangehen und zunächst in alle Richtungen ermitteln. Im Fall Franco A. steht im Augenblick der Vorwurf im Raum, dass Anschläge durchgeführt und diese Flüchtlingen zugeschrieben werden sollten. Aber die Ermittlungen laufen noch und wir müssen deren Ergebnisse abwarten.

taz: Ermittelt wird inzwischen gegen drei Verdächtige, seit Dienstag sitzt ein zweiter Soldat in Untersuchungshaft – reden wir jetzt über ein rechtsextremes Netzwerk in der Bundeswehr?

Münch: Von einem Netzwerk zu sprechen, ist zu früh. Das müssen die weiteren Ermittlungen zeigen. Richtig finde ich allerdings, genau hinzuschauen, ob es rechtes Gedankengut gibt, sei es in der Bundeswehr, in der Polizei oder anderswo.

taz: Was meinen Sie damit?

Münch: Auch wir schauen immer wieder, ob wir mit solchen Phänomenen sensibel genug umgehen und ob wir Verdachtsfälle erkennen. Für uns ist wichtig, in der Polizei eine Kultur des Hinschauens zu haben, nicht eine des Wegschauens.

taz: Erwischt wurde Franco A. nur durch einen Zufall von der österreichischen Polizei. Warum ist die deutsche Polizei dem Mann nicht auf die Schliche gekommen?

Münch: Für mich ist der Fall ein Beispiel für gut vernetzte, internationale Polizeiarbeit. Anlass für die späteren polizeilichen Ermittlungen in Deutschland war, dass die Österreicher eine Waffe am Wiener Flughafen entdeckt, später einen Verdächtigen festgenommen und uns um die Überprüfung eines Fingerabdrucks gebeten haben. Über diesen Weg wurde bekannt, dass der Verdächtige sich als Flüchtling hat registrieren lassen.

taz: Zuletzt stand vor allem der islamistische Terrorismus im Fokus. Wurde die rechtsextreme Terrorgefahr unterschätzt?

Münch: Nein, wir haben schon im letzten Jahr gewarnt, dass sich mit der großen Emotionalisierung in der Flüchtlingsdebatte und der hohen Zunahme von Straftaten gegen Unterkünfte auch terroristische Strukturen bilden können. Wichtige Einrichtungen sind deshalb die Clearingstelle für Straftaten gegen Asylunterkünfte und das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum. Hier tauschen sich die beteiligten Stellen aus, um zu erkennen, ob es Zusammenhänge gibt. Das ist auch eine Lehre aus dem Fall des NSU.

taz: Wie real ist die Gefahr, dass es neue, rechte Terrorzellen gibt?

Münch: Aktuell sehen wir diese Strukturen nicht. Die rechte Szene erreicht mit dem Zuwanderungsthema aber Menschen, die vorher nicht zu Gewalttaten geneigt haben oder mit extremistischen Taten aufgefallen sind. Dort, wo sich Strukturen bilden, handeln wir schnell und konsequent. Das Vorgehen gegen die "Old School Society", die "Bamberger Gruppe" und die "Bürgerbewegung Freital" beweist das.

taz: Die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsheime sinkt in diesem Jahr, die Anheizer – AfD und Pegida – schwächeln. Grund zur Entwarnung?

Münch: Nein. Wir sehen im Moment zwar einen Rückgang der Zahlen – die politisch motivierten Straftaten bewegen sich allerdings immer noch auf einem hohen Niveau. Insofern ist es für eine Entwarnung zu früh. Wir wissen außerdem, dass Radikalisierungsprozesse einen längeren Verlauf nehmen können.

taz: Die andere Großaufgabe ist derzeit der islamistische Terror. Sie selbst sagen, dieser bringe die Sicherheitsbehörden an seine Grenzen: Ist Deutschland der Gefahr nicht gewachsen?

Münch: Die Sicherheitsbehörden tun alles, um Anschläge zu verhindern – absolute Sicherheit kann es jedoch nie geben. Wir haben in etwa eine Vervierfachung der Gefährdungshinweise im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum innerhalb der letzten vier Jahre. In Deutschland führen wir momentan 830 Strafverfahren im islamistischen Spektrum. Wir haben rund 660 Gefährder, denen Anschläge zuzutrauen sind. Und wir gehen davon aus, dass diese Zahl noch größer wird, denn das salafistische Spektrum wächst weiter. Und da der so genannte Islamische Staat immer mehr in Bedrängnis gerät, könnte das auch vermehrt radikalisierte, international gut vernetzte Rückkehrer bedeuten. Darauf müssen wir uns einstellen, das ist eine Herausforderung.

taz: Die Sie wie bewältigen?

Münch: Wir müssen die gestiegene Zahl der Gefährder im Blick behalten. Eine bundesweit einheitliche Gefährderbewertung wird gerade umgesetzt. Der nächste Schritt ist ein einheitliches Risikomanagement. Außerdem arbeiten wir an der Verbesserung des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums und der europäischen Zusammenarbeit. Natürlich ist das alles auch eine Ressourcenfrage. Das BKA wird über 1000 neue Stellen bekommen, die es nun gilt, schnell mit guten Leuten zu besetzen.

taz: Rechtlich aber bewegen Sie sich auf dünnem Eis. Der Gefährder ist ein reiner Polizeibegriff. Wen die Polizei in diese Kategorie steckt, ist kaum zu überprüfen. Braucht es nicht endlich eine rechtssichere Definition?

Münch: Gefährder sind Personen, denen wir die Begehung schwerer Straftaten zutrauen. Die Einstufung als Gefährder erfolgt auf der Grundlage aller Erkenntnisse, die der Polizei vorliegen und die fortlaufend bewertet werden. Dafür brauchen wir Tatsachen, die diese Gefahr ganz konkret beschreiben können. Und für jede Maßnahme, die wir gegen Gefährder verhängen, müssen wir prüfen, ob die Voraussetzungen dafür vorliegen. Dürfen wir die Person observieren? Dürfen wir Auflagen erteilen? Die Voraussetzungen sind im Gesetz klar beschrieben und damit ausreichend. Wir wollen kein "Gefährderrecht" schaffen.

taz: Aber Sie verhängen Maßnahmen gegen Menschen, die im Zweifelsfall noch keine Straftat begangen haben.

Münch: Richtig – das ist im Gefahrenabwehrrecht immer so. Hier ist Anlass gerade nicht, dass eine Straftat begangen wurde, sondern dass eine Gefahr abgewehrt werden muss.

taz: Bei den Gefährdern ist aber häufig nicht klar, ob wirklich eine Gefahr besteht. Grundlage ist die polizeiliche Prognose einer Gefahr. Mit dem gerade beschlossenen BKA-Gesetz haben Sie nun ein neues Instrument gegen Gefährder in der Hand: die Fußfessel. Anschläge werden Sie damit nicht verhindern. Warum sind Sie dafür?

Münch: Mit der Fußfessel wird unser Instrumentarium erweitert. Trägt ein Gefährder eine Fußfessel, können wir besser überprüfen, ob die Person Auflagen, Weisungen oder Verbote befolgt. Werden beispielsweise Auflagen wie Aufenthaltsbeschränkungen nicht eingehalten, können die Sicherheitsbehörden bei Verstößen die notwendigen Schritte zur Gefahrenabwehr einleiten.

taz: An welche Auflagen für Fußfesselträger denken Sie?

Münch: Einen bestimmten Bereich nicht zu verlassen, einen bestimmten Ort nicht zu betreten, so etwas. Wenn der Gefährder dagegen verstößt, gibt die Fußfessel Alarm und die Sicherheitsbehörden können reagieren.

taz: Die Fußfessel kann bislang nur für Gefährder angeordnet werden, die das BKA betreut. Einen solchen Fall gibt es derzeit aber gar nicht.

Münch: Das ist richtig. Die Gefährderüberwachung ist grundsätzlich Aufgabe der Länder. Aber auch diese passen gerade ihre Polizeigesetze an. Das ist wichtig, denn derzeit haben wir keine einheitlichen Werkzeuge beim Umgang mit Gefährdern. Ein Beispiel ist die Kommunikationsüberwachung: eine Maßnahme, die in fünf Bundesländern präventiv nicht möglich ist. Eine Quellenkommunikationsüberwachung dürfen nur sechs Länder durchführen. Wir müssen wegkommen von diesem Flickenteppich.

taz: Bislang aber bleibt die Fußfessel rein symbolische Politik.

Münch: Symbolisch ist mir zu wenig. Richtig ist, wir werden nicht viele Anwendungsfälle für die Fußfessel haben. Richtig ist aber auch, dass die Fußfessel nur ein Teil der Diskussion ist und wir den Umgang mit Gefährden insgesamt standardisieren und optimieren.