Bundeskriminalamt (BKA)

Interview: "Die Polizei ist nicht Prügelknabe der Nation"

BKA-Präsident Holger Münch im Gespräch mit der Hersfelder Zeitung über die innere Sicherheit in Deutschland.

Friedewald. Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, war einer der Ehrengäste beim Hessen-Gipfel der SPD in Friedewald. Über die innere Sicherheit in Deutschland sprach mit ihm Kai A. Struthoff

K. Struthoff: Herr Münch, als oberster Polizeibeamter sind Sie für unser aller Sicherheit verantwortlich. Angesichts der vielfältigen Bedrohungen: Können Sie nachts noch ruhig schlafen?

Münch: Das muss ich sogar, damit ich morgens fit bin. Gemeinsam mit meinen Kollegen arbeite ich den ganz Tag sehr hart, um vernünftige Lösungen für die Probleme der Zeit zu finden. Aber wenn ich abends das Gefühl habe, wir haben alles getan, was uns möglich ist, dann kann ich mich auch ausruhen.

K. Struthoff: Viele Bürger fühlen sich – speziell wegen des Flüchtlingszustroms – im eigenen Land nicht mehr sicher. Müssen wir Angst haben in Deutschland?

Münch: Wir leben immer noch in einem der sichersten Länder der Welt. Das individuelle Risiko, Opfer eines Terroranschlags zu werden, ist denkbar klein. Aber natürlich beschäftigt das trotzdem die Menschen. Der islamistische Terrorismus zielt ja genau auf unsere Lebensweise. Theoretisch kann es einen immer und überall treffen. Es ist die Kehrseite der Globalisierung, dass wir solche Probleme jetzt auch bei uns haben. Aber die meisten Gefährder sind nicht als Flüchtlinge gekommen. Deshalb müssen wir auch gegen die Radikalisierung in Deutschland vorgehen. Wir brauchen mehr Prävention und eine klare Werteorientierung. Wir müssen den Kitt stärken, der unsere Gesellschaft zusammenhält.

K. Struthoff: Das BKA warnt aktuell vor der Gefahr von rechtsradikalen Angriffen auf Flüchtlinge. Wie ernst ist die Lage?

Münch: Wir hatten bis 2016 einen enorm hohen Anstieg der Gewalttaten gegen Flüchtlinge. Diese Zahlen sind zwar etwas zurückgegangen, aber immer noch auf einem hohen Niveau. Deshalb geben wir auch keine Entwarnung.

K. Struthoff: Wer bereitet Ihnen eigentlich mehr Sorgen: Rechte, linke oder islamistische Terroristen?

Münch: Ganz Europa steht im Fokus des islamistischen Terrors. Das ist momentan unsere größte Bedrohung. Im Bereich der rechten, politisch motivierten Kriminalität, sehen wir das Risiko, dass sich einzelne terroristische Gruppen bilden könnten. Das nehmen wir sehr ernst. Im linken Spektrum haben wir eine hohe Zahl von Straftaten, auch im Gewaltbereich, sehen aber zurzeit nicht das Risiko terroristischer Strukturen, wie es sie hier in den 1970 Jahren gab. Aber mit Blick auf Großereignisse wie etwa den G20-Gipfel dieses Jahr in Hamburg, behalten wir auch diese Szene im Auge.

K. Struthoff: Welche politischen und bürokratischen Hemmnisse behindern die Effektivität der Polizei?

Münch: Die Welt wird globaler, internationaler und digitaler. So ist es auch mit der Kriminalität. Deshalb müssen wir unsere organisatorischen Strukturen anpassen und auch in der Polizei in internationalen Netzwerken arbeiten – und zwar schneller und digitaler. Wir müssen aber auch unsere Gesetze und unsere Fähigkeiten anpassen. Es ist beispielsweise nicht mehr zeitgemäß, dass wir in Deutschland 16 verschiedene Polizeigesetze haben und dass wir in Europa Informationen nicht so austauschen können wie innerhalb Deutschlands. Auch die Polizei muss in Europa ohne Binnengrenzen arbeiten können.

K. Struthoff: Fehlt es dafür aber nicht auch an Personal.

Münch: Sicher bringt diese Entwicklung Bund und Länder gleichermaßen an die Grenzen personeller Kapazitäten. Wir haben nach den Ereignissen in 2016 sehr viele neue Stellen bekommen. Aber neue Mitarbeiter sind nicht über Nacht verfügbar, sondern müssen rekrutiert, ausgebildet und in die Polizei integriert werden. Auf die Dynamik, mit der die Bedrohungen wachsen, können wir so allein nicht in der gleichen Geschwindigkeit reagieren. Wir müssen daher immer effizienter arbeiten. Und wir müssen auch entscheiden, welche Aufgaben wir temporär möglicherweise weniger machen.

K. Struthoff: Ein effizientes Mittel scheint die Fußfessel zu sein. Reicht aber ein solches Instrument wirklich aus, um gefährliche Verbrecher zu kontrollieren?

Münch: Es gibt nicht nur ein richtiges Mittel. Auch daheim im Werkzeugkasten hat man ja verschiedene Gerätschaften. So ist das auch im Rechtsstaat. Es kann taktisch durchaus sinnvoll sein, mit Auflagen, Weisungen und Kontaktverboten für Gefährder zu arbeiten. Dann ist eine Fußfessel zur Überwachung dieser Auflagen wirkungsvoll, denn wir müssen ja auch mit unseren Ressourcen haushalten. Wir können nicht immer 40 Beamte zur Überwachung eines Gefährders abstellen.

K. Struthoff: Viele Ihrer Kollegen fühlen sich als Prügelknaben der Nation angesichts der Kritik an der Polizei – zu langsam, zu lasch, zu ineffektiv. Sie sind Vater von zwei Söhnen. Würden Sie Ihren Jungs heute noch empfehlen zur Polizei zu gehen?

Münch: Unbedingt! Auch nach 38 Berufsjahren bereue ich nichts, sondern empfinde meine Arbeit als ungeheuer sinnstiftend. Ich glaube übrigens nicht, dass wir die Prügelknaben der Nation sind. Im Gegenteil: In Umfragen haben wir hohe Vertrauenswerte. Aber es ist nicht immer leicht, unter schwierigen Umständen auch Erfolg zu haben. Genau das ist die Aufgabe von polizeilichen Führungskräften, für derart schwierige Aufgaben auch Lösungen zu finden.